zum letzten Artikel                                                                       zum nächsten Artikel

Oh Schreck! Traumfrauen und Superweiber

Ebersberger Zeitung, 31.12.1996

 

Annemarie Schoenle: „Frau im Himmel, das kann nicht Dein Wille gewesen sein, dass man uns so verblödet"

 

Mein Jahresrückblick in kultureller Hinsicht? Das sind Bücher, Theaterstücke und Filme, die mir sofort in den Sinn kommen, die mich berührt und beeindruckt haben und mich nicht mehr loslassen. „Die Asche meiner Mutter" von Frank McCourt beispielsweise.Der Film „Dead Man Walking" mit Susan Sarandon. Die Samuel-Beckett-Aufführung „Endspiel" der Münchner Kammerspiele. Fernsehinszenierungen. Ein paar erstklassige junge Komödien, die keine Kassenschlager wurden, aber Mut machen. Die Frankfurter Buchmesse fällt mir ein mit ihrer unermesslichen Flut von Titeln, Informationen, Bestsellern. An jedem Stand, in jeder Halle, in jedem Regal - ein Bestseller. Und ein Bestseller, so sagt man, trifft den Nerv der Zeit. Oh, mein Gott! Ich blicke, weiblich orientiert, auf die Bestsellerlisten der vergangenen Monate. Superweiber, Zauberfrauen, Traumfrauen suchen impotente Männer zwecks Nebenwirkung, weil nur ein toter Mann angeblich ein guter Mann ist. Sie gaukeln vor, Powerfrauen, denkende Frauen zu sein, und haben nichts anderes im Sinn, als mit einem Kerl auf einer Matratze zu landen, die sie vorher zum Zeitpunkt des abnehmenden Mondes gelüftet haben, weil dies nämlich, wie fortschrittlich, der rechte Zeitpunkt war. Die einen waschen ihr Haar, wenn der Vollmond im Löwen steht, die anderen kriegen Krämpfe, wenn ihr Outfit nicht dem Modediktat genügt. Sie heucheln weiblichen Fortschritt, weil sie, wie großartig, mittels Zugehfrau, Au-pair-Mädchen und Tagesmutter Beruf und Haushalt unter einen luxuriösen Hut bringen und, hopplahopp, so ganz nebenbei, noch berühmte Schriftstellerin, Werbemanagerin oder sonst irgend etwas Schickes, Elitäres werden. Frau im Himmel! Das kann nicht Dein Wille gewesen sein, dass man uns so verblödet.

 

Kultur ist die Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Lebensäußerungen einer Gemeinschaft, sagt mein Lexikon. Mich schaudert ein wenig. Habe ich doch auch gelesen, dass jede Woche das Fernsehen rund fünfhundert Morde zeigt, und dass diese Gewaltschau nicht anzuhalten sei, solange das Publikum sie sehen wolle. Und das Publikum will sehen und Schamschwellen sinken lassen und in Talkshows die Grenzen der Intimität überschreiten. Denn, so hart es klingt: Wenn wir nicht einschalten, wenn wir nicht die Quoten steigern würden, gäbe es diese Filme, diese Shows nicht mehr. Die Quote regiert, und die Quote machen wir.

 

Und mein ganz persönlicher Rückblick? Ich habe beim Schreiben versucht, leicht, aber nicht seicht zu sein. Ich habe dazugelernt. Ich bin, so hoffe ich, ein paar wenige Schritte vorwärts gekommen, ganz nach dem Motto: Fürchte dich nicht vor dem langsamen Vorwärtsgehen, fürchte dich nur vorm Stehen bleiben.

ANNEMARIE SCHOENLE

zum letzten Artikel                                                                       zum nächsten Artikel